Mehr als ein Wort: Achtsamkeit

Kult um ein Wort: Achtsamkeit. Zeitschriften und TV-Magazine widmen sich diesem Thema, das mit Entschleunigung und Glück zu tun hat. Im „Handelsblatt“ erschien vor wenigen Tagen eine mehrseitige Titelstory unter der Überschrift „Achtsamkeit“. Der Mindener Unternehmensberater und Seelsorger Diakon Jörg Schiebel bringt achtsamkeitsbasierte Übungen in seine Arbeit ein. Wir fragten nach.

Achtet auf Achtsamkeit: der Mindener Diakon Jörg Schiebel.

Herr Schiebel, um die Achtsamkeit gibt es derzeit einen regelrechten Hype. Was hat es damit auf sich?

Viele Menschen haben ein starkes Bedürfnis nach innerer Ruhe, Zufriedenheit, ja Glück. Achtsamkeit kann dabei helfen, auf den Augenblick fokussiert ganz da zu sein.

Was ist Achtsamkeit genau?

Achtsamkeit ist eigentlich einfach. Wenn ich esse, esse ich. Wenn ich gehe, gehe ich. Wenn ich arbeite, arbeite ich.

Das klingt banal.

Ist es aber nicht. Denn der Alltag der meisten Menschen sieht ganz anders aus. Sie spielen mit ihren Kindern und sind in Gedanken bei der Steuererklärung. Mittags gehetzt Fast Food zwischen zwei Terminen. Beim Feierabend drehen sich die Gedanken noch um den Job. Viele beklagen das Hamsterrad im Kopf, das leidige Gedankenkarussell quält sie.

Und spezielle Übungen können da helfen?

Ja, achtsames Handeln und Bewusstheit lässt sich üben. Das ist ein Weg, das geht nicht mal eben so. Man kann das aber lernen. Sie arbeiten auch in Unternehmen mit Achtsamkeit. Wie funktioniert das? Gut. Das wird zur Zeit stark nachgefragt. Aus gutem Grund: Konzentrierte und zufriedene Mitarbeiter arbeiten erst einmal effektiver. Aber auch die Unternehmenskultur kann sich ein Stück weit verändern. Zielgerichtet und fokussiert lassen sich zum Beispiel Meetings oder auch kreative Prozesse ergebnisorientierter und wertschätzend ausrichten. Das zahlt sich aus.

Viele Methoden sind an fernöstliche Traditionen angelehnt, zum Beispiel an die Za Zen-Meditation. Ist das für uns Westler nicht unheimlich schwer zu praktizieren?

Diese Richtung ist nur ein Aspekt der Methodik. Verfahren wie die Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion, also MBSR, von Jon Kabat Zinn, funktionieren ohne einen spirituellen Unterbau. Dieses Verfahren des US-amerikanischen Molekularbiologen ist wissenschaftlich erforscht, die Wirksamkeit durch zahlreiche Studien belegt. Auch in Deutschland wird MBSR inzwischen sogar an einigen Kliniken angewendet.

Sie sind Diakon, predigen regelmäßig in einer evangelischen Kirchengemeinde. Stört es Sie, dass Achtsamkeit meist dem Buddhismus zugeordnet wird?

Nein. Wenn die Menschen darüber einen Zugang zu diesen Themen und sich selbst finden, dann ist das so und dann hat das seine Berechtigung. Aber, nicht vergessen: Wir haben in der christlichen, abendländischen Kultur eine lange Tradition der inneren Einkehr. Kontemplative Gebete oder auch Schweige-Klausuren waren schon immer Bestandteile eines gelebten Glaubens. Und es ist durchaus möglich, dass Menschen sozusagen über den Umweg einer anderen Tradition wieder zu ihren Wurzeln finden.

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